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Früher schien er weit weg und theoretisch, seit dem Herbst aber
wissen wir, dass Bioterrorismus tatsächlich eine Gefahr darstellt.
Zwar ist er gerade 'mal nicht in den Schlagzeilen, er wird uns aber weiter
beschäftigen, garantiert.
Doch dem Thema ist durchaus etwas Positives abgewinnen!Warum?
Etwa Mitte der 1960er Jahre gaben Nobelpreisträger und Medizinforscher,
Ärzte und Gesundheitspolitiker die Parole aus: Die frühere Geißel
der Menschheit, die Infektionen, sie sind besiegt.
Die USA erklärten stattdessen den "Krieg gegen den Krebs", in der
Vorstellung, man müsse - wie bei der Mondlandung - nur genug Geld
hineinstecken, dann würde Technik schon zum "Sieg" führen. Dass
dies bis heute nicht geklappt hat, ändert unsere Wahrnehmung offenbar
nicht. Ganz nebenbei: Ein nicht unerheblicher Teil der Krebskrankheiten
beruht auf Infektionen.
Jedenfalls waren die Schwergewichte jahrzehntelang anders gesetzt, die
- auch wissenschaftliche - Beschäftigung mit Erregern wurde kaum
gefördert. Zumindest im reichen Teil der Erde war nur noch von "Zivilisationskrankheiten"
die Rede, und wo das nicht reichte, wurden teils abstruse Modekrankheiten
erfunden.
Doch weltweit gesehen bringen krankmachende Bakterien und Viren mehr Menschen
um als Krieg, Zivilisationskrankheiten und Unfälle zusammen genommen.
Bis heute. Zunehmend. Altbekannte Erreger tauchten erneut auf oder entwickeln
gefährliche Varianten. Und: inzwischen wurden Dutzende neue Infektionserreger
entdeckt.
Der Schock namens AIDS aber verlor bald seinen medialen Reiz. Tuberkulose?
Doch nicht bei uns! Lebensmittel-Infektionen? Was soll man machen, jede
Woche 'was Neues. Ebola-Virus? Schön gruselig, aber weit weg - so
wie jetzt, aktuell, die drohende Cholera-Epidemie im Kongo nach der Vulkankatastrophe.
Das führt zu noch einem kleinen, historischen Rückgriff:Im
19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gaben Regierungen
und Industrie der Nordhalbkugel ordentlich Geld aus, um Mittel gegen das
zu suchen, was sie "Tropenkrankheiten" nannten. Die Herren Offiziere und
Missionare waren schließlich in Gefahr.
Nach dem Ende der Kolonialzeit sieht das ganz anders aus: Der weiße
Mann, unbewegt in jedem Sinn des Wortes, gestresst, übergewichtig,
rauchend, macht seinen jährlichen Gesundheits-check-up und schluckt
sünd-teure Pillen; die Gemahlin schickt er zum Schönheitschirurgen,
am besten auf Kosten der Krankenkassen. Eine Frechheit nur, dass man die
Malaria-Prophylaxe bei der Luxus-Reise in exotische Gefilde aus eigener
Tasche bezahlen soll.
Derweil darf die halbe Bevölkerung Asiens, Osteuropas und Afrikas
an der Hauptursache von Infektions-Epidemien zugrunde gehen: an Armut,
Mangelernährung, Hygieneproblemen, an fehlendem Geld für Impfstoffe
und Medikamente.
Polemisch? Übertrieben?Vielleicht, ein wenig.
Aber wo jede Woche eine neue Gesundheits-Sau durchs hypochondrische Dorf
getrieben wird, da gilt es wohl, die Dimensionen zurecht zu rücken.
Zweifelsohne sindB-Waffen schrecklich, auch wenn die Gefahr durch Trittbrettfahrer
- noch - größer ist als die durch Briefumschläge.
Aber Tbc und andere Infektionen der Atemwege, Durchfallerkrankungen, Hepatitis
und HIV, Malaria und Masern - sie sind ungleich häufiger und tödlicher.
Und das gilt auch für unsere Gefilde.
Wenn also der durch nichts zu entschuldigende Bioterrorismus die reale
Bedrohung durch Infektionen vor Augen führt, dann kann das heilsam
sein.
----------------------------------------------------------------- Justin
Westhoff -----------------------------------------------------------
Referenten:
° Dr. Dieter Arnold, Leiter BgVV (u.a. Lebensmittelinfektionen)
° Prof. Ulrich Bienzle, Landesinstitut für Tropenmedizin
° Dr. Jörg Gölz, Allgemeinmediziner, Schwerpunktpraxis (u.a.
HIV, HCV etc.)
° Prof. Helmut Hahn, Institut für Infektionsmedizin (UKBF)
° Prof. Reinhard Kurth, Robert-Koch-Institut
° Prof. Hartmut Lode, Infektiologe und Pneumologe (Heckeshorn)
° Dr. Ekkehard Weise, BgVV, Lebensmittelexperte
° Prof. Martin Zeitz, Magen-Darm-Spezialist und Infektiologe (UKBF)
Moderation:
Justin Westhoff, Wissenschaftsjournalist (Der Tagesspiegel)
Der "Treffpunkt Tagesspiegel Medizin & Fitness" wird gefördert
von:
° Barmer Ersatzkasse
° Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin
(BgVV)
° Gesundheits-Akademie Berlin
° ID Information und Dokumentation im Gesundheitswesen GmbH
° Kassenärztliche Vereinigung
° Messe Berlin
° Schering Deutschland
° Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) / Fachbereich
Humanmedizin der FU
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